Geschichte

Unter Kiefern

Monica Huchel berichtet: „Eines Tages zeigte mir Huchel die Gegend, wo er aufgewachsen war… Ich dachte, hier möchte ich leben.“ 1951 entdeckten die Huchels das Haus am Hubertusweg: „Auf unseren Spaziergängen kamen wir am Hubertusweg vorbei und sahen ein großes Haus zwischen hohen Kiefern. Wir fragten herum. Das Haus gehörte der Kreissparkasse, die es für sechstausend Mark ersteigert hatte. Sie boten es uns für das Vierfache an.“ Bertolt Brecht, der bei diesem Kauf als Immobilienexperte auftritt, rät für das Anwesen nicht mehr als den alten Kaufpreis zu bezahlen.

Wenig später erwirbt Peter Huchel Grund und Haus für 24.000 Mark, was Brecht, der Huchel in den politischen Konflikten dieser Zeit zur Seite steht, als „praktizierten Kapitalismus“ bezeichnet.

Villa Hoeft

Schon vor Huchels Einzug ist das Haus ein Ort der Literatur. „Villa Hoeft“ und das Baujahr 1923 sollen noch nach 1945 auf einer kleinen Marmorplatte links vom Eingang zu lesen gewesen sein. Der Erbauer Bernhard Hoeft veröffentlichte Romane und Novellen. Im Hauptberuf Rektor einer Berliner Schule, hat sich Hoeft vor allem als Erforscher des Lebens von Leopold von Ranke einen Namen gemacht. Für die Rankeforschung war sein erst in den vergangenen Jahren entdeckter Nachlass im Geheimen Staatsarchiv Berlin eine Sensation. Mit dem Einmarsch der Roten Armee in Wilhelmshorst verliert sich die Spur Hoefts. Die abgelegene „Villa Hoeft“ wird vorübergehend Kommandantura. Später werden Umsiedler einquartiert und 1954 schließlich ziehen die Huchels ins Haus ein.

Gezählte Tage

In der Folgezeit ist es Monica Huchel, die das Haus für die Bedürfnisse eines Schriftstellerhaushalts und der Redaktion von „Sinn und Form“ einrichtet – Huchel war seit 1949 Chefredakteur der Zeitschrift der Berliner Akademie der Künste. Die Redakteure werden im Nachbarhaus untergebracht, die Chefredaktion tagt in einem Zimmer in der unteren Etage, das heute zur Ausstellung gehört. Huchels Schreibkammer hingegen liegt unter dem Dach, unter einer einfachen Luke.
Bis zu seiner Ausreise aus der DDR lebt Huchel, den der Nobelpreisträger Joseph Brodsky neben Gottfried Benn den bedeutendsten deutschen Dichter der Nachkriegszeit nannte, in seinem Haus am Hubertusweg. Hier entstehen die Gedichte für die berühmten Bände „Chausseen Chausseen“ (1963)  und „Gezählte Tage“ (1972). Die Landschaft der Mittelmark in Brandenburg, die Huchel seit Kindheitstagen vor Augen hat, sind der Quellgrund seiner Gedichte, aus der Empfindung dieser Landschaft beziehen sie ihre Substanz.

Jahre der Isolation

Nach dem Mauerbau war Huchels Zeitschrift „Sinn und Form“ mit ihrer gesamtdeutschen, weltoffenen und auf literarische Qualität bedachten Ausrichtung nicht mehr gefragt. 1962 wurde Huchel das Heft aus der Hand genommen. Es folgten neun Jahre der Isolation und Überwachung in Wilhelmshorst. Briefe wurden abgefangen, das Telefon abgehört, sein Archiv verschleppt – ein Nachbar schrieb Spitzelberichte. Trotzdem wurde Huchels Haus zu einem Treffpunkt von Schriftstellern, die in Opposition zum herrschenden Regime standen. Wolf Biermann, Ludvík Kundera, Günter Kunert, Reiner Kunze und andere kamen zu Huchel, auch Heinrich Böll und Max Frisch zählten zu den Besuchern und unterstützten den Dichter in seiner Notlage – Max Frischs Einsatz beim Internationalen PEN in London machte schließlich den Weg frei für Huchels Ausreise aus der DDR im Jahr 1971.

Erich Arendt

Nach ihrem Weggang überließen die Huchels dem Dichterfreund Erich Arendt das Haus zur Nutzung. Arendts dem Expressionismus verpflichtete Dichtung verdankte wesentliche Anregungen der modernen spanischen und lateinamerikanischen Poesie – als Nachdichter machte er die Werke von Pablo Neruda, Vicente Aleixandre und Nicolás Guillén im deutschsprachigen Raum bekannt. Auch in Arendts Zeit ist das Haus im Hubertusweg ein Treffpunkt für Schriftsteller, vor allem für die jüngeren Autoren, die fasziniert waren von Arendts sinnenfroher, weltbürgerlicher Lebenshaltung. Für sie wurde der Dichter zu einem geistigen Bezugs- und Anlaufpunkt.

Gegenwart

Ein Ort der Literatur

Dass das Haus im Hubertusweg ein Ort der Literatur bleiben solle, war der Wunsch Monica Huchels. Ende 1995 gründete sich zu diesem Zweck der Peter-Huchel-Gedenkstätte e.V., dem die Witwe des Dichters per Schenkung das gesamte Anwesen übertrug. Bereits Ende 1996 begannen die Arbeiten zur Renovierung und am 3. Oktober 1997 wurde das Peter-Huchel-Haus feierlich eröffnet. Seitdem ist das Haus ein lebendiger Ort der Literatur mit Lesungen, Podiumsgesprächen, Ausstellungen und Konzerten.

In den Lesereihen „Hubertusweg“, „ZeitmitSchriften“ und „Chausseen Chausseen“ kamen Autoren wie Publizisten zu Wort, die die deutsche Literatur entscheidend prägten wie Herta Müller, Wilhelm Genazino, Christoph Meckel, Jürgen Becker, Friedrich Christian Delius, Wolfgang Hilbig, Christoph Hein bis hin zu Autoren der folgenden Generationen wie Durs Grünbein, Katja Lange-Müller, Jan Wagner, Ines Geipel und Ingo Schulze. Auch die Träger des jährlich vom SWR vergebenen Peter-Huchel-Preises waren Gäste des Hauses, unter ihnen Elke Erb, Wulf Kirsten, Michael Krüger, Monika Rinck und Ulf Stolterfoth. Langjährige Literaturzeitschriften wurden vorgestellt wie „Sinn und Form“, „Neue Rundschau“ oder „Sprache im technischen Zeitalter“.

Aus Aufzeichnungen dieser Abende sind Rundfunksendungen entstanden, die von RBB und NDR kultur ausgestrahlt wurden. International bekannte Autoren wie Adam Zagajewski, Ludvík Kundera, Ota Filip, Anna Enquist, Aleš Šteger, Sjon, Avirama Golan, Stefan Hertmans oder Ken Babstock haben im Peter-Huchel-Haus gelesen und diskutiert, aber auch Autoren aus der Brandenburger Region wie Antje Ravic Strubel, Grit Poppe, Sigrid Grabner, Helga Schütz, Jürgen Israel und viele andere.

Zu den Höhepunkten der Veranstaltungsgeschichte zählte ohne Zweifel der Auftritt Wolf Biermanns vor etwa fünfhundert Besuchern. Biermann erzählte dabei, wie Huchel für ihn in jungen Jahren ein väterlicher Freund und das Haus Huchels Zufluchtsort und Unterschlupf geworden war. In den sechziger Jahren wohnte Wolf Biermann zeitweise im Hubertusweg, er schlief in Huchels Schreibkammer unter dem Dach. „Ermutigung“, eines seiner bekanntesten Lieder („Du lass dich nicht verhärten…“), ist Peter Huchel gewidmet.

"Im Kieferngewölbe"

Eine ausführliche Darstellung zur Geschichte des Peter-Huchel-Hauses finden Sie in: „Im Kieferngewölbe. Peter Huchel und die Geschichte seines Hauses". Mit Beiträgen von Hendrik Röder, Lutz Seiler und Peter Walther.

Das Buch und andere Titel von und zu Peter Huchel können Sie in der Gedenkstätte käuflich erwerben.

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